Veranstaltung: | Landesparteitag |
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Tagesordnungspunkt: | 1. Anträge |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | LPT |
Beschlossen am: | 23.03.2019 |
Eingereicht: | 25.02.2019, 12:56 |
Für eine gute IT-Sicherheit und eine wehrhafte Demokratie - auch im Digitalen
Beschlusstext
Ob Stuxnet 2010, die Veröffentlichungen vom Edward Snowden 2013, der
erfolgreiche Angriff auf den Deutschen Bundestag 2015, WannaCry 2017 oder der
Angriff auf das deutsche Regierungsnetz - seit Jahren diskutieren wir nicht nur
über zahlreiche Datenskandale, sondern auch über weitreichende Angriffe auf IT-
Infrastrukturen.
Im Zuge des jüngsten Doxing-Skandals wurden die Daten von Zehntausenden
Politiker*innen, Journalist*innen und Personen des öffentlichen Lebens erbeutet
und mit Diffamierungsabsicht veröffentlicht. Nur kurz darauf fanden Forscher
Datenbanken mit Online-Zugangsdaten von 2,1 Milliarden Menschen weltweit. Das
zeigt: Um die Sicherheit privater Kommunikationen und digitaler Infrastrukturen
steht es extrem schlecht.
Zugleich erleben wir weitreichende Versuche der intransparenten Einflussnahme
auf demokratische Willensbildungsprozesse und der gezielten Manipulation von
Wahlen und öffentlichen Diskursen, nicht nur in Großbritannien im Zuge des
Brexit-Referendums, in den USA im Rahmen der US-Präsidentschaftswahlen sondern
beispielsweise auch bei der zurückliegenden bayerischen Landtagswahl, wo rechte
Netzwerke eine regelrechte Desinformationskampagne führten, auch und gerade
gegen uns Grüne. Bewusst lancierte Desinformation wird mit Hilfe ganzer
„Trollarmeen“ und „social bots“ verbreitet und so Meinungsführerschaft
vorgegaukelt, Diskurse werden vergiftet.
IT-Angriffe und intransparente Einflussnahme auf demokratische
Willensbildungsprozesse unterlaufen das Vertrauen in öffentliche Diskurse und
sind für Demokratien mittlerweile ein sehr ernstzunehmendes Problem. Diese teils
seit langem diskutierten Probleme, teils gänzlich neuen Formen hybrider
Bedrohungen müssen wir uns als Rechtsstaaten mit aller Entschlossenheit stellen,
um Grundrechte, demokratische Willensbildungsprozesse und Wahlen bestmöglich zu
schützen.
Die Bundesregierung tut dies bislang nicht. Im Gegenteil: Sie hat es verpasst,
soziale Netzwerke an klare rechtliche Vorgaben, beispielsweise zur Überprüfung
von strafbaren Meinungsäußerungen, zu erinnern. Offensichtliche, über Jahre
andauernde Rechtsverstöße hat sie nicht sanktioniert und die
Datenschutzaufsichtsbehörden bei ihren Bemühungen alleine gelassen. Stattdessen
hat sie mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) Maßnahmen ergriffen, die in
weiten Teilen ungeeignet sind und die Meinungsfreiheit im digitalen Raum
gefährden. Auch hat es die Bundesregierung verpasst, sich im Rahmen der
Verhandlungen um die E-Privacy-Verordnung für eine eindeutige Regulierung
einzusetzen. Neue Transparenzverpflichtungen und Regelungen, zum Beispiel gegen
„Microtargeting“ und intransparente Werbeschaltung im Vorfeld von Wahlen, sind
weiterhin überfällig.
Insgesamt verfolgt die Bundesregierung bis heute eine IT-Sicherheitspolitik, die
IT-Sicherheit eher gefährdet als stärkt. Wir brauchen eine echte Kehrtwende im
Bereich der IT-Sicherheit. Hierzu gehört auch, die eigene IT-Sicherheitspolitik
der vergangenen Jahre grundlegend zu überdenken. Statt den staatlichen Handel
mit Sicherheitslücken und verfassungsrechtlich hoch umstrittener "Hackbacks",
statt eines cyberpolitischen Wettrüstens mit Staaten wie Russland, China und
Nordkorea, das man - zumindest als Demokratie - nur verlieren kann und einem
neuen "Cyberwar" brauchen wir eine auf Verteidigung und Härtung der eigenen
Infrastrukturen ausgerichtete IT-Sicherheitsstrategie, die auch dem verbesserten
Schutz privater Kommunikation dient.
Behörden wie ZITIS, die bis heute ohne irgendeine Rechtsgrundlage daran
arbeiten, Sicherheitslücken offen zu halten und Kryptographie zu brechen oder
immer neue Datenberge völlig unbescholtener Bürgerinnen und Bürger durch
verdachtsunabhängige Massenüberwachung à la Vorratsdatenspeicherung &
Fluggastdatenspeicherung - all das gefährdet Grundrechte und ist Gift für die
IT-Sicherheit in Deutschland, Europa und der Welt.
Wir werden nicht müde daran zu erinnern, dass dem Staat eine direkte
Verantwortung für den Schutz privater Kommunikation und digitaler
Infrastrukturen zukommt, ob darauf nun unsere private Kommunikation oder
sensitive Unternehmensdaten laufen. Dieser sich aus unserer Verfassung
ergebenden Schutzverantwortung muss die Bundesregierung endlich gerecht werden -
und das längst nicht nur, wenn es um den Schutz der eigenen Netze und kritischer
Infrastrukturen geht.
Statt wie bislang nur auf erfolgreiche Angriffe zu reagieren und diejenigen zu
bestrafen, die Opfer geworden sind, brauchen wir eine proaktive Politik zum
Schutz von privater Kommunikation, digitaler Infrastrukturen und unserer
Demokratie. Dem Grundrecht auf Vertraulichkeit informationstechnischer Systeme
müssen wir auch angesichts gänzlich neuer Bedrohungslagen endlich zum
politischen Durchbruch verhelfen. Denn Vertrauen in die Privatheit von
Kommunikation ist zentral für einen effektiven Grundrechtsschutz und die
Demokratie im digitalen Zeitalter.
Als Grüne in Schleswig-Holstein fordern wir die Landesregierung auf, sich auf
Landes- Bundes- und europäischer Ebene für eine an realen Gefährdungslagen
orientierte, besonnene und proaktive Politik zur Erhöhung der IT-Sicherheit und
zum Schutz demokratischer Diskurse und Wahlen einzusetzen.
Wir brauchen unter anderem:
· überfällige gesetzgeberische Handlungen im Bereich des Datenschutzes. Dazu
zählt insbesondere die aktive politische Begleitung der E-Privacy-Verordnung.
Auch für die Anpassung des nationalen Datenschutzrechts bedarf es weiterer
gesetzlicher Anstrengungen.
· eine angemessene Regulierung der sozialen Netzwerke und einen effektiven
Grundrechtsschutz von mehr als 30 Millionen deutschen Nutzerinnen und Nutzern
· die schnellstmögliche Vorlage des von der Bundesregierung seit langem
angekündigten IT-Sicherheitsgesetzes 2.0, das proaktiv ansetzen und diejenigen
belohnen muss, die in gute IT-Sicherheitstechnologien investieren
· klare Zuständigkeiten innerhalb der Bundesregierung, die Herauslösung der IT-
Sicherheit aus dem Zuständigkeitsbereich des Bundesinnenministeriums und neue
Strukturen zur Erkennung hybrider Bedrohungslagen sowie eine stärkere
Kooperation zwischen Bund und Ländern über den IT-Planungsrat
· klare Rechtsgrundlagen, z.B. für die Zusammenarbeit im Cyber-Abwehrzentrum
sowie für die Quellen-Telekommunikationsüberwachung und Online-Durchsuchung
sowie einen Verzicht auf diese Instrumente, so lange es diese nicht gibt und ein
Verzicht auf die Zusammenarbeit mit dubiosen IT-Sicherheitsfirmen, die die
Software bislang liefern
· ein - zumindest in Teilen - vom Bundesinnenministerium unabhängig gestelltes
Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), das seiner
Beratungsfunktion ohne Interessenkonflikte gerecht werden kann
· eine personelle Stärkung der bestehenden Datenschutzaufsichtsstrukturen, die
den stark gestiegenen Herausforderungen durch die digitale Welt gerecht werden
muss
· durchgehende Ende-zu-Ende-Verschlüsselungen bei allen staatlichen IT-
Großprojekten statt unsicherer E-Government-Angebote, die niemand nutzt
· eine unabhängige und systematische Überprüfung des Quellcodes von Software, um
IT-Sicherheitslücken frühzeitig zu erkennen und zu schließen
· ein neues, erweitertes Haftungsregime und verpflichtende Mindeststandards
sowie Sicherheitsupdates für Hard- und Software sowie internetbasierten Dienste
und klare gesetzliche Vorgaben für (neue) Zertifizierungs- und
Auditierungsverfahren in Ergänzung zu den bestehenden datenschutzrechtlichen
Zertifizierungsmöglichkeiten der EU-DSGVO
· den Verzicht auf IT-Sicherheit gefährdende Maßnahmen wie „Hack backs“, den
staatlichen Ankauf, das Offenhalten und die Nutzung von bislang nicht öffentlich
bekannten Sicherheitslücken (sogenannte „Zero-Day-Exploits“) und auf
Überlegungen einer gesetzlichen Verpflichtung für Unternehmen, Hintertüren in
Hard- und Software zu verbauen
· eine Abkehr von anlasslosen Massenüberwachungen, die sicherheitspolitisch
kontraproduktiv wirken und Grundrechte gefährden
· mehr freie und offene Software als zentraler Baustein für eine sichere und
zukunftsfähige IT-Landschaft und eine Überarbeitung von
Ausschreibungsbedingungen
· zur Überprüfbarkeit die Offenlegung des Quellcodes bei Wahlsoftware und den
Verzicht auf elektronische Wahlsysteme und Wahlcomputer
· neue gesetzliche Regelungen für das Schalten von Werbung in sozialen
Netzwerken, gerade hinsichtlich sogenannter "dark ads" im Zuge von Wahlen
· eine Kennzeichnungspflicht für social bots und andere automatisierte
Programme, die in direkten Austausch mit NutzerInnen treten, um intransparente,
bewusst herbeigeführte Diskursverschiebungen ohne eigene Meinungsmacht zu
unterbinden
· neue internationale Übereinkommen zum Schutz digitaler Infrastrukturen und
privater Kommunikation und die Ächtung militärischer Operationen auf zivilen
Infrastrukturen
· einen verbesserten Schutz von HinweisgeberInnen ("Whistlebowern"), die immer
wieder auch auf Missstände im Bereich der IT-Sicherheit hinweisen